Gender Data Gap – oder das maskuline Deutsche

Artikelbild zu das generische Maskulinum

Die Debatten zum generischen Maskulinum nehmen seit einigen Jahren zu. Google Trends rechnet mit einem weiteren Anstieg und jeder hat eine Meinung oder sollte sich zumindest eine bilden!

Hochtrabend und kompliziert? Hier ein einfaches Beispiel zum Verständnis: Spricht man vom Fußball, denkt die Mehrheit an Männer-Fußball. Geht es im Gespräch um Frauen-Fußball, wird es explizit so genannt: Frauen-Fußball. Da professioneller Frauenfußball dank Verbote und sonstiger Hindernisse lange Zeit eine Randerscheinung blieb, ist das kein Wunder. Wippende Brüste, Vernachlässigung von Mutterpflichten wurden schon in den Goldenen Zwanzigern als Begründung angeführt. 1955 sprach der DFB  gar ein offizielles Verbot gegen Frauen-Fußball aus1). Nicht überraschend, dass es nie zu einem Begriff wie „Frauschaft“ gekommen ist.

Kleine Sprachgeschichte

Die Geschichte der Frau als „Anhängsel“ des Mannes oder als „Besonderheit“ der Menschheit zieht sich durch die komplette Menschheitsgeschichte.2) Fangen wir doch einmal mit dem Begriff Frau an. Feministen und Feministinnen bevorzugen diesen Begriff mehr als „Weib“. Sie argumentieren, dass „weib“ mehr nach „weiblich“ klingt und Assoziationen an frauliche Rundungen erweckt3). Dabei entgeht ihnen, dass ihr verwendetes Wort „Frau“ der beste Beleg für die Einstellung der Männer ist, die Frau als Anhängsel zu betrachten.

Der Begriff „Frau“ hat seinen Ursprung im Begriff „Frouwe“ (Frowe). Vielleicht erinnerst du dich noch an Fronleichnam? Damit ist nicht „happy Kadaver“ gemeint. Vielmehr steckt der Begriff „Fro“ darin, was so viel heißt wie „Herr“. Übersetzt heißt es also: der Leichnam des Herren. Die Rede ist natürlich vom Körper Jesu Christi. FROwe ist also die Herrin.

Zum Vergleich: Der Begriff „wîb“/ oder „wîp“ – also „Weib“ (engl. „wife“) – stand am Anfang seiner Sprachgeschichte für alle Frauen, welchen Standes auch immer. Erst Schmähpoesie machte „wîb“ zum niederen Begriff und erhob den Begriff „frouwe“ zur Frau höheren Standes, eben zu einer HERRin4). Das mag unter anderem daran liegen, dass „Weib“ stets ein Neutrum, also grammatikalisch gesehen, sächlich, war. Heute kennen wir noch „Waschweib“, Weiberkram“, „Weibsbild“ aber ebenso “Vollblutweib” und so weiter.

Wer den Co-Autor persönlich kennt …

Wer mich, aka Reen, persönlich kennt dürfte, ab dieser Stelle mindestens, ein Schmunzeln auf den Lippen haben. Wer nicht, sollte sich die Hintergründe erzählen lassen.

Übrigens ist auch die „Dame“ letztendlich ein „Anhängsel“ der männlichen Form. „Dame“ kommt von lat. „domina“ (Herrin). Der Begriff „domina“ wiederum ist eine Ableitung von „dominus“ (Herr). Über das Französische, so heißt es, kam die „Dame“ ins Deutsche5).

Es komme nicht von ungefähr, dass dämlich ohne „h“ geschrieben wird. (Man denke an die Eselsbrücke: „Wer nämlich mit ‘h’ schreibt, ist dämlich“.) Natürlich sei damit gemeint: „so wie eine Dame“. Kein schmeichelhafter Vergleich, denn das Adjektiv ist fest im deutschen Sprachschatz etabliert.*

*Soweit zumindest die These der Männer, denn das Wörtchen “dämlich” geht auf das mundartliche Verb “dämeln” zurück. Was sich auf “taumeln” und “dämmern” zurückführen lässt.

Zusammenfassend: Wörter unterliegen einem Wandel und werden in verschiedene Richtungen interpretiert. Die eingenommene Perspektive ist entscheidend! Bezeichnungen für Frauen werden scheinbar besonders häufig “verschlechtert”.6)

Mankind in der modernen Forschung

So viel zur kleinen Sprachgeschichte – zurück zur Gegenwart. Während die Frau immer noch ihren „Anhängsel“-Status oder ihren „Besonderheit“-Status abschüttelt oder ignoriert, läuft die Technik auf Hochtouren. Internet und Datentransfer machen vieles möglich und einfacher. Neue Projekte erschaffen neue und verbesserte Produkte. Wunderbar. Nun gibt es Bücher wie „Invisible Women“ (zu Deutsch: „Unsichtbare Frauen“)7) von der Aktivistin Caroline Criado-Perez, die hier Einhalt gebieten. Nicht aufgrund der tollen Neuerungen, sondern wegen der vorgefertigten Weltanschauung. Alles sei für die MANkind. In ihren Studien, die diesem Buch vorangegangen sind, fand sie heraus, dass sehr viele Produkte für den durchschnittlichen Mann getestet worden sind: Frauen wurden bei den Tests nicht berücksichtigt.

Zwei Beispiele zum Verständnis:

Viele Frauen frieren im Büro. Das ist kein Wunder, so die Autorin und Radiojournalistin, denn: Der „Wohlfühlstandard“ in puncto Wärme für das Büro wurde an Männern getestet. Dass Frauen aufgrund ihrer dünneren Haut und der geringeren Anzahl an Muskeln schneller frieren als Männer, wird bei dem Test nicht berücksichtigt.

Denn: Der Vergleich stand gar nicht zur Debatte. Fazit: Die Frau muss darum bitten, die Heizung höher zu drehen, als es der „von Männern für Männer gemachte Standard“ vorsieht. Sie ist somit in einer Ausnahmesituation – oder sie friert eben, ohne etwas zu sagen.8)

Sicherheitsstandards für Autos werden ebenso für die MANkind entwickelt. Dass Crashtest-Dummys kein Geschlecht haben, mag richtig sein. Interessant sind jedoch die Standardmaße (Hybrid III 5te Generation). Denn diese entsprechen eher dem Durchschnittsmann: 1,75 m, 78 kg.9) Frauen blieben lange Zeit weitestgehend unberücksichtigt. Und auch wenn in dieser Sparte gerade ein Umdenken stattfindet10): Die Modelle, der Autos, die heute bereits im Straßenverkehr unterwegs sind, hatten in der Regel einen männlichen Crashtest-Dummy am Steuer sitzen.11)

Denkt die Forschung nun um, müsste sie mindestens für den Mann und für die Frau Produkte entwickeln. Das bedeutet im schlimmsten Fall mehr Zeitaufwand, mehr Geldausgaben, mehr Personal.

Über Jahrhunderte hinweg war dies alles nicht nötig. Sobald es jedoch um Gleichberechtigung geht, sieht das schon ganz anders aus. Dann ist eben nicht mehr der Mann der Standard und die Frau das Extra. Vielmehr gibt es mindestens zwei Standards: Mann und Frau.

Distance Cloud zu generisches Maskulinum

Die maskuline Sprache oder das generische Maskulinum

Die Sprache ist ein Kulturgut. Sie entstand aus der Notdürftigkeit der verbalen Kommunikation heraus und spiegelt – nicht nur in den Dialekten – Jahrhunderte menschlichen Seins wider. Dabei erfahren Wörter Veränderungen in ihrem „Erscheinungsbild“ (Rechtschreibung/Grammatik) oder in ihrer Bedeutung (Semantik). Und  sie geben noch heute Aufschluss über das Denken vergangener Zeiten.

Ein Beispiel:

Seit jeher ist „Mensch“ im Deutschen, sprachgeschichtlich betrachtet, eine Ableitung von „Mann“ und heißt so viel wie „das Mannhafte“ (althochdeutsch: „mennisco“). Der Ursprung liegt im Germanischen, wo „Mensch“ und „Mann“ faktisch eins waren: “man“.12)

Um es deutlich auszudrücken: In die Wortfamilie „Mann“ zählt „Mensch“ hinein. In der Wortfamilie „Weib“ oder Frau“ ist der Begriff „Mensch“ hingegen nicht zu finden.

Rational betrachtet, könnte allerdings „man“ auch für die Gesamtheit der damals lebenden Menschengruppen stehen, und um explizit weibliche erwachsene Persona zu beschreiben, bedurfte es anderer Wörter, wie zum Beispiel „wîb“ bzw. „wîp“.13) 

Aufgrund der ersten und zweiten Lautverschiebung sowie dem mehrfachen Lautwandel mag der Ursprung nicht mehr so deutlich zu erkennen sein. Dennoch zeigen die heute völlig neutral gesehenen Begriffe, dass über die Kulturgeschichte hinweg die Sichtweise des Mannes bzw. die Besonderheit des „Weibes“ des Sprachbild prägte.

Das generische Maskulinum in der Welt des Handelns

Insbesondere bei Personenbezeichnungen stößt das heutzutage immer mehr auf Unmut. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es zum Beispiele für Berufe, die nur männliches Personal hatten, vermeintlich männliche Beschreibungen gab.14) Wenn man bedenkt, dass noch bis hinein in die zweite Hälfte der Neunzigerjahre auch hier in Deutschland gesetzlich verankert war, dass Frauen nur mit Erlaubnis ihres Mannes arbeiten gehen duften, ist das auch kein Wunder. Wozu brauchte man sich da Gedanken über eine feminine Form zu machen?

So ist das alte generische Maskulinum gleichbedeutend für eine vermeintlich männliche Gruppe geworden. Das Adjektiv „generisch“ meint übrigens „allgemein“.   

Vor allem die Bildung Verb + Endung -er liegt im Fokus des Gendersprache-Kontextes. Historisch betrachtet, ist diese Wortbildung aus der Notwendigkeit heraus entstanden,  eine Person mit einer (Haupt-)Handlung zu bezeichnen. In den alten Berufsbezeichnungen stecken zumeist die Handlung oder das Produkt darin.

  • Bäcker, jemand backt
  • Züchter, jemand züchtet.

Noch zwei Beispiele für Substantiv + -er:

  • Schlosser, jemand stellt Schlösser her
  • Fleischer, jemand bereitet Fleisch auf

Das gibt es auch allgemein bei Freizeit-Handlungen:

  • Raucher, jemand raucht
  • Spieler, jemand spielt
  • Spaziergänger, jemand geht spazieren
  • Leser, jemand liest.

Analog funktioniert das ebenso mit Gegenständen:

  • Staubsauger, ein Gerät mit dem man Staub saugt
  • Reiniger, ein Utensil, mit dem man etwas reinigen kann
  • Löscher, ein Gerät, mit dem man etwas löschen kann.

Die Endung -er wird auch gern als sprachökonomische Variante genutzt – weniger Buchstaben mit gleichem Inhalt.

Beispiele:

  • Geschirrspüler, statt korrekt: Geschirrspülautomat
  • Reiniger, statt Reinigungsmittel

Wer sich mit Sprachgeschichte befasst, wird schnell erkennen, dass auch andere Personenbezeichnungen für Berufe eine Handlung in sich tragen. Das ist zum Beispiel bei „Anwalt“ so. In dem Begriff steckt das Wort „walten“, was früher einmal so etwas wie „Macht innehaben“ bedeutete.15)

Das generische Maskulinum wird also immer dann angewendet, wenn eine Person bezeichnet werden soll, die einer bestimmten Tätigkeit nachgeht. 

Relevanz des biologischen Geschlechts in der Aussage

Im Krankenhaus erfahren die dort Liegenden, dass in einer Stunde ein Arzt ans Bett kommt. Wen erwarten sie? Eine Frau? Einen Mann? Haben sie überhaupt eine genaue Vorstellung über das Geschlecht in dem Moment?

Auch wenn die Mitteilenden noch gar nicht wissen, ob ein Arzt oder eine Ärztin zu den Liegenden kommt, wird wohl häufig das generische Maskulinum verwendet.

Erst die Endung -in differenziert. Im Singular macht sie deutlich, dass es sich um eine Frau handelt: Ärztin

Wird jedoch eine Gruppe von Menschen bezeichnet, ist die Schwierigkeit groß, darzustellen, ob Männer und Frauen, nur Männer oder nur Frauen gemeint sind.

Bei einer Gruppe von Menschen sieht das generische Maskulinum den Plural der maskulinen Singularform vor.

Erfahren die im Krankenhaus Liegenden, dass zwei Ärzte zu ihnen kommen, könnten das ein Arzt und eine Ärztin sein oder aber zwei männliche Ärzte. Die Differenzierung durch die Endung -innen sagt den Angesprochenen erst, dass sie zwei Ärztinnen erwarten.

Immer mehr wird sich jedoch gefragt, was das Geschlecht mit der Qualifikation zu tun hat. In einem Interview mit Focus Online forderte Wolfgang Kubicki 2015: “Maßgeblich für eine Einstellung oder Beförderung muss die Qualifikation sein, nicht das Geschlecht.”16) Das (sprachliche) Einbeziehen der Frauen in eine Gruppe, ohne explizit mitzuteilen, dass Frauen und Männer in der Gruppe sind, mag daher eine der Bestrebungen der feministischen Sprachbewegung sein.

Aufgrund der maskulin geprägten Sprache und männlichen Weltanschauung wird das generische Maskulinum von Feministisch-Aktiven abgelehnt17). Folglich muss eine Alternative her. In dieser Phase der Debatte18)19) befinden wir uns.

Bestrebungen für die Einbeziehung der Frauschaft

Gendergerechte Sprache im Deutschen zieht die interessantesten Wortspielarten nach sich. In der Regel wird überlegt, neutrale Formen zu finden, um eine gemischte Gruppe zu beschreiben.

In der Fachzeitschrift „Journalist“ wurden in der Ausgabe 3/2019 die gängigsten Formen beschrieben, so zum Beispiel:

  1. Nennung beider Geschlechter: Journalistinnen und Journalisten, Journalisten und Journalistinnen
  2. Schrägstrich im Singular mit femininer Endung: Journalist/in
  3. Schrägstrich + Bindestrich, zumeist im Plural: Journalisten/-innen
  4. Klammerschreibweise: Journalist(in)
  5. Gender-Gap und Binnen-I: Journalist_innen, JournalistInnen,
  6. mit Gendersternchen: Journalist*innen
  7. generisches Femininum: Journalistinnen
  8. Partizip Präsens umgeht die Zuordnung: Medienschaffende
  9. Umschreibungen mit Relativsätzen, Verwendung des Plurals oder durch geschlechtsneutrale Ausdrücke: Alle, die im Journalismus tätig sind
  10. die Endung –x für geschlechterlose Sprache schon im Singular: Journalistix (vertreten von Linguistix Lann Hornscheidt)

Des Weiteren gibt es ergänzend dazu die Del-On-Sel-Variante. Wie beim Hornscheidt’schen -x soll eine Endung gefunden werden, die es weder für maskuline noch für feminine Substantive bisher gab. Oft wird das o bzw. die Endung -on angeführt. Ein Beispiel wäre Journaliston für Journalist oder Journalistin. Da vor allem der Artikel das grammatikalische Signal darstellt, soll dieser ebenfalls vereinheitlicht werden: del.

Ein Beispiel:

Del Journaliston ist del Autoron des Artikels. Das geschlechtsneutrale Pronomen (er/sie/es) wird dann zu sel. Beispiel: Sel ist del Autoron des Artikels.

So viel zu den Kunstwörtern …

Innerhalb von Texten können Wörter optisch dargestellt hervorgehoben werden.

Visualisierung eines Artikels mit Genderpins

blaue Pins zeigen männliche Wörter innerhalb eines Textes

Wenn der Text umgeschrieben wird, sollte das Verhältnis an Pins nahezu identisch sein. Im Beispiel markiert visual matter Wörter wie “ihr” als weiblich und “sein” als männlich. Dies hängt damit zusammen, dass die Wörter häufig in Kookkurrenz mit weiblichen beziehungsweise männlichen Wörtern stehen. Allerdings bestimmt der Kontext die Ausrichtung, wodurch die Pins lediglich einen Indikator darstellen.

Beispielvisualisierung für einen genderneutralen Artikel
Der identische Artikel mit vermehrt weiblich geprägten Wörtern

Sein als Vollverb und ihr als Pluralform von “du”

Je nach Kontext wird “sein” auch als Vollverb (“ich werde sein”) oder als Possessivpronomen für das Sächliche (“sein Titel liest sich interessant” = “Der Buchtitel liest sich interessant”) verwendet.

Mit “ihr” kann ebenso die Pluralform von “du” gemeint sein. In der Darstellung wollen nur Possessivpronomen gemeint sein, wodurch die Grammatik einbezogen werden müsste.

Grammatik muss analysiert werden

Nach “ihr”/”sein” sollte ein im entsprechenden Kasus stehendes Adjektiv oder Substantiv folgen. Also: “ihr buntes Kleid”, “sein Haus”. Bei “ihr” müsste visual matter alle “ihrs” ausschließen, die mittels Verb vebunden sind (“ihr geht nach Hause”, “ihr geht es schlecht”).

Bei “sein” müsste das Werkzeug schauen, ob ein Hilfsverb in der Nähe steht. Allerdings entstehen dadurch weitere Einzelfälle: “es wird so sein” | “er wird dabei sein” | “er wird dabei gewesen sein” etc.

Daher können die Markierungen nur als Indikatoren verstanden werden!

Die grammatikalisch sichere Variante ist es freilich, beide Formen auszuschreiben, nimmt jedoch den meisten Platz weg und kostet Zeit: Journalistinnen und Journalisten. Diese Variante wird durch einen grünen Pin dargestellt, denn textuell wird ein Gleichstand erreicht.

Auch das wird in „Journalist“ erwähnt – und noch weitere Ansätze werden beschrieben. Das Interessante daran ist, dass diese keine Kunstwörter hervorbringen, sondern Wörter bzw. Wortbildungen nutzen, die es schon immer in der deutschen Sprache gegeben hat.

Partizip I

Diese Form des Verbs wird genutzt, um eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Handlungen anzuzeigen.

Beispiele:

Das Handy20) in der Hand haltend, zog er sich an.

Singend, liefen sie durch die Straßen.

Weil jede Wortart im Deutschen zu einem Substantiv werden kann, sobald ein Artikel davor sitzt bzw. sich das Wort in einem „substantivierten Kontext“ befindet, funktioniert das auch mit dem Partizip.

Beispiel für Adjektiv:

Der Himmel ist grau – aber das Grau des Himmels

Beispiel für Verben:

a) Nennform (finite Form): lesen = das Lesen

b) Partizip I von lesen = lesend = der Lesende, die Lesende, das Lesende, die Lesenden

c) Partizip II von lesen = gelesen = das Gelesene

Das Nutzen des Partizips I wird von der Anhängerschaft für gendergerechte Sprache oft befürwortet, weil im Plural keine grammatikalische „Geschlechtertrennung“ erfolgt.

Nun hat das Partizip I jedoch eine ganz bestimmte Funktion, nämlich: eine Handlung, die gerade stattfindet, darzustellen. Das ist in der substantivierten Form ebenfalls der Fall.

Wenn wir zum Beispiel anstelle von „Liebe Damen und Herren“ unsere Gäste mit „Liebe Anwesende“ anreden, dann ist dies grammatikalisch und semantisch völlig korrekt. Denn die Angesprochenen sind gerade anwesend. Anders sieht es bei einer gendergerechten Formulierung für zum Beispiel „Tänzer“ aus. „Tanzende“ würde implizieren, dass die Genannten gerade tanzen. Partizip I vermittelt jedoch nur eine gerade stattfindende Handlung. Möchte man nun ausdrücken, dass es sich bei den tanzenden Personen um „Berufstanzende“ handelt, dann wäre die korrekte grammatikalische Variante: Tänzer (tanzen + Endung -er, siehe weiter oben).

Maskuline Sprache = Männerwelt?

Die feministische Linguistik sieht vor allem in der Besserstellung des Mannes gegenüber der Frau ihren Ansatz für Änderungen begründet21). Würde innerhalb von Personenbezeichnungen erkennbar sein, dass es sich um Männer und Frauen handelt, würden Frauen nicht „unsichtbar“ bleiben. Denn natürlich gibt es auch Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Autorinnen, Ärztinnen, Forscherinnen, Nobel-Preis-Trägerinnen etc. .

Als Beleg für die Notwendigkeit zur Änderung werden zumeist Assoziationsstudien herangezogen22)23). Dabei werden die Verknüpften Vorstellungen, zu Begriffen, einer Vielzahl an Probanden analysiert. Welche Assoziationen werden geweckt?

Teste dich selbst:

Woran denkst du, wenn man dir das Wort „Anwalt“ zuruft und woran, wenn man von „Ärztin“ spricht? Welche „Gesichter“ hast du vor dir, wenn du an „Schüler“ denkst und welche, wenn du das Wort „Kollegen“ hörst?

Darstellung der Verdienstunterschiede von Frauen in Europa | Quelle: Eurostat 05/20

Auch der Gender-Pay-Gap – Frauen verdienen in gleichen Positionen noch immer weniger als Männer – soll mit dem „Sichtbarmachen“ durch Sprache verkleinert werden.

Kritiker weisen jedoch auf andere Sprachen hin, die ohne Genus auskommen und in denen kein Gleichstellungsgesetz existiert – wie zum Beispiel das Türkische24).

Vielmehr sei die soziale Einstellung das zu Ändernde. Würden mehr Frauen als Männer in vormals männlich-dominierten Berufen arbeiten, würde sich hier das Bild ändern. Selbst dann, wenn noch immer das generische Maskulinum für eben diese Berufsgruppe verwendet wird.

Weitere Perspektiven

An dieser Stelle werde ich andere Perspektive kommentieren und euch näher bringen.

13 Fragen: Politisch korrekte Sprache

Im Format 13 Fragen sollen sechs Gäste Fragen zur Gender-Debatte beantworten. Dadurch erhält der Zuschauer mehrere Perspektiven auf einmal.

Folgende Punkte habe ich mir notiert:

Diktatur des Selbstverletztseins

Torsten Schulz
  • Das Verlernen der geschichtlichen Denkweise ist gefährlich
  • Derzeit werden Wörter in alten Büchen (vorwiegend Kinderbüchern( umgeschrieben
  • Kultur ist was menschgemachtes
  • Kinder können nicht historisch denken

Gibt es ein geschlossenes Interesse in marginalisierten Gruppen?

  • Ist die Nennung des Geschlechts überhaupt sinnvoll?

Wenn Angela Merkel nur die generische Form Bundeskanzler verwendet hätte, würden 16 Jährige bei dem Begriff an eine Frau denken

  • Wie funktioniert Sprachwandel?

Mit neuen oder mit zu behalten Begriffen? Anhand von Fräulein wird ein Beispiel skizziert. Früher gab es beide Begrifflichkeiten parallel: Frau = verheiratet, Fräulein = unverheiratet

Die Begrifflichkeit von Fräulein wird nicht mehr verändert, wodurch “Frau” nicht mehr mit dem Attribut der “Heirat” verknüpft ist.

Dr. Ann-Kristin Iwersen: Gendersprache und politisches Engagement der wbg? Ein Plädoyer dagegen

Die Autorin erörtert in dem Gastartikel für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, warum sie die Frage, ob man sich wünschen würde, dass die wbg Gendersprache verwende, mit einem Artikel beantworten musste.

Folgende Punkte habe ich mir notiert:
  • Verwechslung von Genus und Sexus
  • Differenzierungsvermögen im sprachlichen Ausdruck wird (?) eingeschränkt
  • Werden latente Vorbehalte radikaler?
  • Wird eine kaum vorhandene Kluft erschaffen?

Teste deine Texte auf eine genderneutrale Schreibweise

Egal wie du dich entscheidest, die Verwendung sollte einheitlich geschehen. Damit du deine Inhalte auf die unterschiedlichen Schreibweisen hin prüfen kannst, bieten wir einer Analyse der Gender-Speech.

Icon Gender Speech

Du hast dich bewusst für eine genderneutrale Sprache entschieden? Dann prüfe, ob es dir gelungen ist ? Gewohnt, vergleichen wir die Webseiten deiner Wettbewerber.

Fazit: Gendern heißt Entscheiden

Viele Magazine sind dazu übergegangen, die genderneutrale Schreibweise zu verwenden. Neben dem ungewöhnlichen Schriftbild ist des Öfteren ebenso eine inkonsequente Umsetzung zu beobachten. Mal wird gegendert und mal eben nicht.

Aktuell ließe sich das mit der Maskenpflicht vergleichen. Personen steigen in die Bahn und setzen dort erst ihre Maske auf – eben weil es Vorschrift ist und man es eben machen muss. Den Sinn dahinter verstehen sie nicht. Sie möchten aber auch nicht unangenehm auffallen. Es machen eben alle, also muss ich das auch machen. Dass das Aufsetzen IN der Bahn schon der Vorschrift widerspricht, verstehen sie nicht – weil sie die Regelung selbst nicht verstehen.

Diese Einstellung (weil es eben alle machen) übertragen auf das Gendern von Beiträgen führt zu teils widersprüchlichen Inhalten, in denen unklar wird, ob nun von männlichen oder weiblichen Personen die Rede ist, ungeachtet der Frage, ob dies für das Thema relevant ist.

Vielen Dank an NK für den kontinuierlichen Austausch zum Thema und eine weibliche Sichtweise!


Persönlich gefärbte Folgerungen

An dieser Stelle springt der Stil von einer relativ neutralen Perspektive auf einen persönlich gefärbten Beitrag.

Beispiele gibt es einige: versehentliche Uneinheitlichkeit

Die Autoren des Artikels „20 Empfehlungen, um weniger rassistisch zu sein“ in Der Zeit vom 21. Juni 2018 (Aktualisierung am 3. Juni 2020) schreiben in ihrem achten Punkt, dass „nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund […] Expertinnen für Einwanderung, Integration, Islam oder fremde Länder [sind].“ Im darauf folgenden Punkt 9 „haben Experten für Migration oder Diskriminierung oft langjährige eigene Erfahrung mit diesen Themen.“

Dieses Konstrukt ist schwer zu verstehen.

  • Wurden die Experten zunächst bewusst genderneutral formuliert?
  • Sind nur weibliche Menschen mit Migrationshintergrund keine Experten oder ist hier die Schreibweise verunglückt?
Taz.de – Uneinheitlichkeit als Konzept

Die Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah liefert hier ebenfalls ein irritierendes Beispiel: „Ob Behörden, Lehrer_innen, Justiz, Politik, Ärzt_innen oder Sicherheitskräfte:“

In diesem Abschnitt werden insgesamt sechs Personenkreise angesprochen. Zwei, die der Lehrkräfte und der Mediziner, werden bewusst via „Gender-Unterstrich“ herausgestellt. Mitarbeiter von Behörden, der Justiz, innerhalb der Politik oder bei Sicherheitsfirmen werden allerdings nicht direkt angesprochen. Hier wurde lediglich die Institution genannt.

  • Werden Beamte, Justiziare, Politiker oder Sicherheitsmitarbeiter nun diskriminiert, weil nicht direkt angesprochen?

Artikel, konkreter zumeist Kolumnen oder Meinungsberichte, werden zu meinen Lieblingsbeispielen. Leider fällt es mir hier besonders auf, da meinem Empfinden nach häufig aus sehr energischen und feministischen Gründen heraus genderneutrale Texte entstehen. So spricht sich Carolina Schwarz für ein Ende der “Debatte ums “Gendern” aus, denn “die Argumente […] sind alle ausgetauscht”. Und das obwohl ihr Text das beste Beispiel dafür ist, dass wir mehr über das Gendern sprechen sollten. Aber wir müssen den Argumenten lauschen:

Wir müssen reden. Über Gewalt gegen Frauen oder deren Altersarmut. Aber nicht mehr darüber, was Reaktionäre übers Gendern denken.

Carolina Schwarz

Mit dieser Wortwahl in der Einleitung, wird die Marschrichtung klar. Der Text unterstellt (un)bewusst, dass dass alle Reaktionen von Männern kommen. Damit wird in meinen Augen keine empathische Kommunikation gefördert. Zumal der Text in Folge schlicht aussagt, die ideale Form wurde bereits gefunden! Das dem nicht so ist, sehe ich in weiteren Artikeln:

So schreibt Anne Fromm in Ihrer Kolumne folgendes: Angriffe auf Journalist*innen – Arbeiten unter Pressefeinden. Ein Widerspruch in sich, denn “Feind” ist ebenfalls ein generisches Maskulinum. Korrekt müsste daher die Überschrift wie folgt lauten: Angriffe auf Journalist*innen – Arbeiten unter Pressefeind*innen.

Grammatikalisch halte ich in diesem Moment das Maskulinum für perfekt, denn es wird eine Gruppe von Journalisten und eine Gruppe von Feinden adressiert.

Wenn der Presserat die Innenminister bittet, die Polizei zum Schutz der Presse mehr in die Pflicht zu nehmen, passiert: nix.

Anne Fromm

Starke Worte, denen ich aus inhaltlicher Sicht zustimmen möchte. Aus textlicher Perspektive frage ich mich allerdings, ob Sabine Sütterlin-Waack (Ministerin für Inneres, ländliche Räume und Integration) bewusst ausgegrenzt wird. Dieses Beispiel zeigt mir deutlich, dass wir an einheitlichen Regelungen arbeiten müssen.

Wenn ich mich explizit auf den Ministerposten beziehe und somit auf Frau Sütterlin-Waack, dann finde ich die weibliche Form von Minister, also Ministerin, für angebracht. Werden alle Minister adressiert, sollte das Maskulinum genügen. Gleichwohl ich an dieser Stelle eine Unterscheidung des Sexus nicht bräuchte, da das Geschlecht keine relevante Information zum Sachverhalt beiträgt.

Interviews und die Tücken

Die Antwort des Architekten Tim Augustin, in einem Interview von Jens Rometsch, welches in der Leipziger Volkszeitung am 11./12. Juli 2020 erschien, empfinde ich beispielhaft für die Verwirrung. In der gedruckten Antwort auf die Frage, wie ein Bauprospekt richtig gelesen wird, stand folgendes:

Am besten mit Hilfe von Fachfrauen oder Fachmännern. Vielleicht kennen Sie einen Planungsingenieur oder Architekten, der mal darüber schauen kann? Denn die Fachleute sehen nicht nur das, was in einem Prospekt steht, sondern auch, was nicht drinsteht. Die offenen Punkte sollten vor dem Vertragsabschluss mit dem Anbieter geklärt werden. Im Zweifel würde ich den Vertrag auch juristisch überprüfen lassen, also einem Anwalt zeigen.

Antwort von Tim Augustin
Gender Speech Visualisierung
visual matter erkennt noch nicht jedes Wort – was neutral begonnen hat, endet männlich

Anhand der Beispiele möchte ich zeigen; Mit der „neuen“ Schreibweise ist es nicht getan.

Die Entscheidung für oder gegen die genderneutrale Schreibweise setzt das Wissen über die Hintergründe und nach dem Sinn voraus. Die Schreibe kann nur ein Ausdruck des eigenen Selbstverständnisses darstellen. Wichtig erachte ich die bewusste Entscheidung!

Fazit 2: Gendern ist nicht automatisch besser

Die vermeintliche Annahme das die genderneutrale Schreibweise grundsätzlich besser ist, als das Nicht-Gendern, kann ich nicht vertreten. Redaktionen die sich bewusst gegen diese Schreibweisen entscheiden, haben ihre Gründe. Diese Gründe sollten in Form eines Leitbilds formuliert werden, damit die Lesenden die Motivation nachvollziehen können. Gendern ist nicht „selbstverständlich“ besser.  

Sich nicht zu entscheiden ist dagegen auf jeden Fall schlechter.

Fazit 3: Wenn, dann einheitlich

Derzeit ist ein Wildwuchs zu beobachten, denn es werden derzeit zehn Arten als gängig angesehen. Ich frage mich an dieser Stelle, wie dies gelehrt werden soll und woran ein Leser erkennen soll, ob dies korrekt ist oder schlicht ein Fehler.

  • Wer darf überhaupt entscheiden, wie wir zukünftig schreiben?

Fangen wir alle an uns dinge auszudenken, beispielsweise die groß- und kleinschreibung zu vernachlässigen? schaut komisch aus? nur eine frage der gewöhnung 😛

Fazit 4: und der Grammatik folgen

Ob Schrägstrich, Bindestrich, Klammerschreibweise, Gender-Gap oder Binnen-I, alle Varianten besitzen einen fundamentalen Nachteil. Sie untergraben häufig die Grammatik.

Eine “Reportage” die mich fassungslos zurücklässt. Eine wirklich einseitige Betrachtung des Sachverhalts. Meine Top-Argumente sehen anders aus.

In einem Experiment soll eine Anleitung für ein Brettspiel in zwei Versionen von Passanten bewertet werden. Die mittlere Passage lautet wie folgt:

Ein hinterhältiges Pokerface ist auch nicht von Nachteil, will man als goldgieriger Dieb*in oder als scheinheiliger Prediger*in möglichst gut in die eigen Tasche wirtschaften, um mit den wertvollsten Bauwerken das meiste Gold zu scheffeln.

Ziel des Spiels: Die Spieler*in versuchen durch Karten und mithilfe von Identitäten ihre Auslage in Form der Stadt schnell zu vergrößern.

Den gängigen Grammatikregeln folgend müsste der Text allerdings wie folgt lauten:

Ein hinterhältiges Pokerface ist auch nicht von Nachteil, will man als goldgierige*r Dieb*in oder als scheinheilige*r Prediger*in möglichst gut in die eigen Tasche wirtschaften, um mit den wertvollsten Bauwerken das meiste Gold zu scheffeln.

Ziel des Spiels: Die Spieler*innen versuchen durch Karten und mithilfe von Identitäten ihre Auslage in Form der Stadt schnell zu vergrößern.

Und hier steht dann eigentlich geschrieben: “goldgierige Dieb” und “goldgieriger Diebin”, aber dies wäre bestimmt akzeptabel.

Das Experiment wird mit den Worten beendet: “Unser, natürlich nicht repräsentatives Ergebnis, der gegenderte Text ist mindestens genauso gut verständlich, wie der ohne Sternchen.”

Warum genau wurde nicht zudem folgende Variante ins Spiel gebracht.

Egal ob du scheinheilige Aussagen vor einem Publikum verkündest oder aus Goldgier Diebstähle verübst, ein hinterhältiges Pokerface ist nicht von Nachteil. So wirtschaftest du möglichst gut in die eigen Tasche, um mit den wertvollsten Bauwerken das meiste Gold zu scheffeln.

Ziel des Spiels: Die Spielenden versuchen durch Karten und mithilfe von Identitäten ihre Auslage in Form der Stadt schnell zu vergrößern.

Fazit 5: sowie richtig

Wurde eine Entscheidung getroffen, dann sollte die Umsetzung einfach fallen. Ansonsten könnten die falschen Gründe zur Entscheidung beigetragen haben oder sie wurde aufgezwungen. Gendern sollte nicht als Übereifer oder als Alibi abgetan werden können. Dann verfehlt der angestrebte Wandel innerhalb der Gesellschaft seine Wirkung.

Erst wenn Frauen in unserer Gesellschaft gleichberechtigt sind25), wenn Frauen als gleichwertig angesehen werden und wenn es keinen Gender Data Gap mehr gibt, dann wurde dieser Wandel vollzogen.

Die verwendete Sprache kann diesen Wandel in beide Richtungen beeinflussen.

Fußnoten[+]

2 Idee über “Gender Data Gap – oder das maskuline Deutsche

  1. Pia sagt:

    Ich finde es richtig, dass dieser Thematik mehr Bedeutung geschenkt wird. Es wird Zeit, dass der Wandel zumindest in der Sprache manifestiert wird und dass Frauen sich mehr Gehör verschaffen.

  2. Maria sagt:

    Wir haben gar keine Wahl. Ich schreibe derzeit meine Abschlussarbeit und ich muss diese genderneutral formulieren. Daher habe ich noch nicht über die Vor- und Nachteile nachgedacht. Für mich stand dies gar nicht zur Debatte. Allerdings muss ich sagen, dass ich durch die Bevormundung so meine Schwierigkeiten habe. Mich nervt das Thema eher, als das ich mich angesprochen fühle.

Schreibe einen Kommentar zu Pia Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert